Schätzungsweise über 2 Millionen Erwachsene in Deutschland sind von ADHS im Erwachsenenalter betroffen. Es gibt jedoch noch viel Aufklärungsbedarf und ADHS im Erwachsenenalter gibt immer wieder RÄTSEL auf. Für Betroffene, für Menschen, die sich fragen, ob sie betroffen sind, aber auch Angehörige, Freunde oder Arbeitgeber.

Ich nehme in diesem Blog eine Rundumbetrachtung vor. Denn nur ein ganzheitlicher Blick erklärt die Widersprüche und Inkongruenzen von ADHS im Erwachsenenalter.

Erlauben Sie mir folgende Vorbemerkung.

Das menschliche Gehirn ist sehr individuell und komplex. Daher kann jeder Blogartikel über die Symptome nur eine Annäherung an eine komplexe, individuelle und daher so faszinierende Thematik sein. Daher lade ich Sie in diesem Blogartikel ein, sich dieser spannenden neurobiologischen Besonderheit zu nähern, mit all ihren Rätseln und verschiedenen Facetten.

Lernen Sie, wie die neurobiologischen Besonderheiten eines ADHS-Gehirns sich im Alltag zeigen. Wie ihr eigenes Navigationssystem seinen speziellen Gesetzen folgt.

Dabei schauen wir uns die Symptome an, die alleine für sich jedoch wie medizinische Stempel wirken. Viel bedeutender ist es, die Brücke in den Alltag zu bauen. Woran können Sie im Alltag erkennen, ob Sie ggf. von ADHS betroffen sind? Wieso gibt es häufig eine Diskrepanz im Leistungsvermögen in verschiedenen Lebensbereichen? Wie erklären sich die Inkongruenzen sowie die hohe Inkonstanz von Leistung und Motivation? Wir blicken zu den Mutmachern der neuesten Erkenntnisse von ADHS im Erwachsenenalter. Welche Rolle spielen die Defizite, aber auch Begabungen und Talente, die mit ADHS verbunden sind? Was verbirgt sich hinter der nicht enden wollenden Kraft des Hyperfokus? Und warum hinterlässt ADHS auch Spuren im Selbstwert und Ihrer Zuversicht, sodass manche Stärken versteckt und unentdeckt für die Betroffenen sind?

Ich lade Sie ein, sich in meinem Blogartikel dieser vermeintlichen Paradoxie anzunähern. Vielleicht kommen Sie ja Ihrem eigenen Rätsel ein wenig auf die Spur? Aber sicherlich werden Sie nach dem Artikel einen vielseitigeren und differenzierteren Blick haben und verstehen, dass ADHS real ist, und keine Erfindung der Pharmaindustrie. Aber vor allem werden Sie sehen, dass neben den multifaktoriellen Faktoren, die Entstehung und Ausprägung beeinflussen, genauso viele Gestaltungsmöglichkeiten existieren, um ein gelingendes Leben mit ADHS proaktiv zu gestalten.

Meine Erkenntnisse sind wissenschaftlich fundiert. Dennoch hat dieser Blog das Ziel Betroffene, mögliche Betroffene oder Angehörige praxisnah zu informieren, um die Alltagsrelevanz von ADHS im Erwachsenenalter aufzuzeigen. Daher nehme ich mitunter Vereinfachungen vor, um die komplexe Wirklichkeit alltagsnah abzubilden.

Nehmen Sie sich daher ein wenig Zeit, denn um den Facettenreichtum wissenschaftlich und doch alltagsrelevant zu beleuchten, machen wir einen Rundumblick.

ADHS ist keine Krankheit, sondern erst einmal eine neurobiologische Störung

Mutmacher: Fortschritte und neue Erkenntnisse vervollständigen das Bild von ADHS im Erwachsenenalter und machen Mut

Obwohl ADHS-Symptome in der Geschichte bereits immer wieder mal Erwähnung fanden, wurde ADHS 1987 erstmals offiziell als Syndrom bezeichnet. Somit ist es in der Forschung eine vergleichsweise relativ junge Störung. Daher profitieren Betroffene heute davon, dass die Erkenntnisse kontinuierlich erweitert werden. Insbesondere die Fortschritte in den bildgebenden Verfahren und der Forschungen der letzten 25-30 Jahre führen dazu, dass mehr Klarheit, wachsende Erkenntnisse und auch ein differenzierteres Bild von ADHS entsteht. Dieses negiert die Defizite nicht, beleuchtet aber viel mehr auch die Stärken und Begabungen und das Potenzial, das aufgrund von ADHS besteht.

Dazu tragen auch mehr und mehr Betroffene bei, die erfolgreiche Leben mit ADHS führen und sich zu ADHS bekennen. Aber auch zahlreiche Betroffene, die selbst im medizinischen, therapeutischen Kontext arbeiten, wissenschaftlich an ADHS forschen, machen das Erleben und Innenleben besser beschreibbar, erlebbar und infolgedessen verstehbar. So möchte ich Sie gerne auf zwei Bücher der gleichen Autoren hinweisen.

ADHS bei Erwachsenen, Mutmacher Entwicklung

Hallowell und J. Ratey, die im Jahr 1994 ein Buch mit dem Titel „ZWANGHAFT ZERSTREUT – oder die Unfähigkeit aufmerksam zu sein“ veröffentlicht haben, haben im Jahr 2021 ein Buch herausgegeben mit dem Titel „ADHS ist kein Makel“. Diese Entwicklung und Fortschreibung steht für mich stellvertretend für den Erkenntnisgewinn um das Phänomen ADHS im Erwachsenenalter. So weiß man heute, dass neben den Defiziten auch zahlreiche bedeutsame Potenziale vorhanden sind. Darin liegt für die Betroffenen eine große Chance, und alleine dieser ganzheitliche Blickwinkel spendet Zuversicht, wie ein Leben mit ADHS gelingen kann. In Ihrem Buch „ADHS ist kein Makel“, vergleichen die Autoren das ADHS-Gehirn mit einer Popcornmaschine. Wie funktioniert sie denn, diese Popcornmaschine?

ADHS: Wächst sich das nicht immer raus?

Plötzlich ADHS mit 20, 40, 50, 60 Jahren?

Mit 20, 40, 50 oder 60 Jahren feststellen, dass man von ADHS betroffen ist? Das ist keine Seltenheit.

Mitunter werden Diagnosen bei den eigenen Kindern gestellt, und ein Elternteil versteht und hinterfragt plötzlich den eigenen Lebensweg.

Auslöser können jedoch auch geänderte Lebensumstände sein, manchmal auch nur in Teilbereichen. Die bisherigen Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) kommen an ihre Grenzen. So wächst der Leidensdruck und Menschen fragen sich, warum sie ihr Leben „gerade nicht auf die Reihe bekommen“, Alltägliches nicht gelingt und unüberwindbar scheint und warum sie sich in einer gefühlten Abwärtsspirale befinden. (Anmerkung: Zitate von Klient*innen in meinen Coaching-Prozessen).

Diese kritischen Lebensereignisse durch die veränderten Anforderungen können vielfältig sein. Das kann die Geburt eines Kindes sein, der Beginn eines Studiums, der erste eigene Haushalt, Jobwechsel, auch neue Aufgaben innerhalb des gleichen Arbeitgebers oder die Trennung von einem Struktur gebenden Partner.

So unterschiedlich die Auslöser wirken, haben sie eine wichtige Gemeinsamkeit: Die neue Lebenssituation bringt veränderte Anforderungen mit sich, die von den Betroffenen zunächst nicht bewältigt werden können. Es sind noch keine passenden Bewältigungsstrategien vorhanden und es fehlen notwendige Kompetenzen. Oft beginnt so eine negative Abwärtsspirale, die sich vordergründig an Misserfolgserlebnissen im Außen sichtbar macht. Begleitet ist dies häufig von einer Selbstwertproblematik und nicht selten von Komorbiditäten wie Depression, Sucht- oder Angsterkrankungen.

Wie war oder ist Ihr Weg? Weshalb lesen Sie diesen Blog? Wo stehen Sie gerade in Ihrem Leben?

Möglicherweise haben sie bereits als Kind eine Diagnose erhalten, sind durch Unterstützung, vielleicht auch Medikamente, ausreichend gut durch die Schule und Kindheit gekommen. Sie sind oder waren in der Annahme, dass sich ADHS herauswächst. Im Erwachsenenalter fragen Sie sich, warum manches nicht gelingt, was für andere so einfach ist. Warum Ihre Träume angefangene und nicht zu Ende gebrachte Projekte sind. Warum Ihre To-Dos wachsen und nicht weniger werden? Vielleicht auch, weshalb es des Öfteren zu Konflikten mit Menschen kommt.

Möglicherweise gehören Sie zu den zahlreichen Erwachsenen, bei denen ADHS als Kind unerkannt blieb. Sie sind als Kind gut und unauffällig durch die Schule gekommen. Sie haben eine ausreichende Intelligenz, gute Strukturen im Außen vorgefunden, Wegbegleiter durch Schulkameraden, Eltern gehabt. Nun stehen Sie vielleicht vor einer unbekannten und ungewohnten Herausforderung, etwa Studium. Studienstart online mit wenig Kontakt- und Unterstützungsmöglichkeiten, große Anforderungen an Ihre Selbstorganisation im Dschungel der Organisation des Studienganges.  Sie müssen zahlreiche Entscheidungen treffen, FÜR und GEGEN etwas. Gleichzeitig müssen Sie immer wieder Zeit strukturieren, einen Tag-Nachtrhythmus finden, priorisieren, ein ungewohntes Lernpensum bewältigen, Abschlussarbeiten termingerecht verfassen und dem Tag eine Struktur geben, der erst einmal keine hat. Vielleicht gleichzeitig den ersten eigenen Haushalt meistern.

Das eigenverantwortliche Managen eines Erwachsenenlebens mit seinen vielschichtigen Rollenanforderungen stellt an ein Gehirn eines von ADHS Betroffenen enorme Anforderungen. Daher können hier häufig Schwierigkeiten auftreten, die weniger etwas mit Intelligenz, Willensstärke oder Disziplin zu tun haben, sondern sich mit fehlenden Kompetenzen durch die beeinträchtigten Exekutivfunktionen erklären. Ein Gehirn mit den neurobiologischen ADHS-Besonderheiten  – ihr „Navigationssystem“ – ist diesbezüglich nicht gut aufgestellt. Warum das so ist? Lesen Sie gerne hier.

Lassen Sie uns erst einmal anschauen, was sich hinter ADHS überhaupt verbirgt.

Wie verändern sich die ADHS-Symptome vom Kindes- ins Erwachsenenalter?

ADHS ist zuerst einmal eine „Störung“ im Kindesalter. Hier tritt es mit seinen 3 Kernsymptomen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität und Impulsivität auf. Man geht davon aus, dass ca. 5 % der Kinder davon betroffen sind. (Abhängig von der Studie variieren die Zahlen ein wenig.)

ADHS bei Kindern: Wieviel Prozent der Kinder haben ADHS

Entgegen vieler Mythen, „das wächst sich doch raus“, weiß man heute, dass sich ADHS auch im Erwachsenenalter zeigt. Untersuchungen gehen davon aus, dass ca. 50 % der betroffenen Kinder ADHS ins Erwachsenenalter mitnehmen. (Auch hier variieren die Zahlen abhängig von der Studie.)

ADHS bei Erwachsenen: Haeufigkeit ADHS im Erwachsenenalter

Hiernach gibt es schätzungsweise 2 Millionen Erwachsene alleine in Deutschland, die von ADHS betroffen sind.

ADHS bei Erwachsenen: Haeufigkeit ADHS im Erwachsenenalter

Die Diagnostik ADHS im Erwachsenenalter ist ein vielfältiges Puzzle. Eine abschließende Gesamtdiagnostik für ADHS-Adult ist komplex und erfordert ein mehrdimensionales Vorgehen.

ADHS im Erwachsenenalter setzt zwingend voraus, dass ADHS im Kindesalter bereits bestand. ADHS kann sich zwar im Erwachsenenalter erst zeigen, oder erkannt werden. Es müssen rückblickend jedoch bereits Symptome in der Kindheit vorhanden gewesen sein. Dies tritt insbesondere bei der Diagnostik in den Vordergrund. Hier erfolgt oft eine biografische Anamnese, Rückblicke durch Eltern, Zuhilfenahme von alten Schulzeugnissen.

Symptom-Shift vom Kindes- ins Erwachsenenalter

ADHS im Kindesalter ist geprägt von den 3 Kernsymptomen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität und Impulsivität. Beim Übergang vom Kindes- ins Jugend- und Erwachsenenalter bleiben die Symptome in ihrem Kern, zeigen sich jedoch (leicht) verändert. Das heißt, die Störung wächst mit und die Symptome verändern sich, der sogenannte Symptomshift.

Ich lehne mich in diesem Blog an die sieben Kern-/Kardinalsymptome nach der Wender Utah Rating Scale (WURS-k) an.

7 Kern-/ Kardinalsymptome: Eine Annäherung an ein Verständnis von ADHS im Erwachsenenalter

Was verbirgt sich hinter diesen Symptomen? Ein kurzer Einblick: Nach der Wender Utah Rating Scale (Wurs-K) gibt es 7 Kern-/ Kardinalsymptome von ADHS im Erwachsenenalter.
ADHS bei Erwachsenen: Symptome ADHS Erwachsene

  • Aufmerksamkeitsstörung (obligat)
  • Motorische Hyperaktivität (obligat)
  • Impulsivität
  • Desorganisiertes Verhalten
  • Affektlabilität
  • Störung der Affektkontrolle
  • Emotionale Überreagibilität

Um eine Diagnose ADHS im Erwachsenenalter zu bestätigen müssen die Symptome Aufmerksamkeitsstörung und motorische Hyperaktivität gegeben sein und zusätzlich noch 2 der 5 weiteren Symptome.

Diese Symptome haben primär eine diagnostische Relevanz und sind für Betroffene häufig wenig greifbar. Dennoch erläutere ich kurz, was sich hinter diesen „medizinischen“ Begriffen verbirgt.

Hyperaktivität – Innere Unruhe

Die Bewegungsunruhe von Kindern, das augenfällige Nicht-stillsitzen-Können, verändert sich häufig im Erwachsenenalter in eine innere Unruhe. Begleitet von Schwierigkeiten, sich wirklich entspannen zu können. Langeweile kann nicht gut ausgehalten werden und wird von Gefühlen der Gereiztheit begleitet.

Impulsivität

Impulsivität bedeutet mehr als aggressive Impulsivität. Vielmehr sind das Denken, Fühlen und Handeln oft schneller als eine beabsichtigte besonnene Handlung. Impulsivität kann sich in den verschiedensten Bereichen zeigen: Partnerschaft, Kommunikation/Beziehungen, Entscheidungen, Finanzen (Kaufverhalten) und dem Umgang mit Zeit. Es führt zu kurzfristigen Entscheidungen und Handlungen, die den eigentlichen beabsichtigten langfristigen Zielen widersprechen.

Affektlabilität

Stimmungen können rasch wechseln zwischen normal, Niedergeschlagenheit, gelangweilt und erregt. Die Betroffenen werden als launisch wahrgenommen.

Desorganisiertes Verhalten

Betroffene werden oft als chaotisch-kreativ erlebt. Tätigkeiten werden nicht ausreichend organisiert und geplant. Häufig fehlt der Überblick über Termine, Aufgaben, die nächsten Schritte oder Finanzen. Es bestehen Schwierigkeiten, Prioritäten zu setzen. Einzelne oder mehrere Lebensbereiche sind von Chaos geprägt (z. B. Wohnung, Finanzen, Papierkram). Häufig fehlt ein Struktur gebender Tag-Nacht-Rhythmus.

Gestörte Affektkontrolle

Gestörte Affektkontrolle zeigt sich durch eine geringe Frustrationstoleranz sowie einen schwierigen Umgang mit Wut. Damit ist eine erhöhte Reizbarkeit verbunden.

Emotionale Überreagibilität / Stressanfälligkeit

ADHS ist mit einer Reizfilterstörung verbunden. Betroffene haben Schwierigkeiten, Störungen und Reize auszublenden und zu filtern. Erlebnisse, visuelle Eindrücke, Geräusche und Gerüche nehmen sie intensiv wahr. Hierdurch fühlen sie sich leicht erschöpft und gestresst. Sie leiden unter der Reizüberflutung.

Wer sind sie, die ca. 2 Millionen Erwachsene, die von ADHS betroffen sind?

Die bunte Vielfalt: ADHS ist nicht gleich ADHS

Entgegen mancher Vorurteile, Witze und Stigmatisierungen über ADHS im Erwachsenenalter gibt es ihn nicht, den ADHSler/die ADHSlerin. Es gibt sehr vielfältige Erscheinungsformen.

Vom Hanns-Guck-in-die-Luft zum Zappelphilipp

Wer kennt ihn nicht, den Zappelphilipp, den Hoffmann bereits 1844 beschrieben hat. (Herr Hoffmann war in seinem Hauptberuf Psychiater). Hoffmann hat mit seinem „Hanns-Guck-in-die-Luft“ auch den Tagträumer beschrieben.

Diese beiden Figuren stellen heute die unterschiedlichen Pole und das Ausprägungsspektrum dar, und beschreiben gleichzeitig die Subtypen von ADHS.

ADHS bei Erwachsenen, Spektrum der Auspraegun

So ist der Hanns-Guck-in-die-Luft der unaufmerksame Typ und am anderen Spektrum ist der Struwwelpeter mit seiner hyperaktiven Ausprägung. In diesem Spektrum gibt es noch Mischtypen.

Neben diesen unterschiedlichen Subtypen kann sich auch der Schweregrad der Ausprägung unterscheiden. Hiernach unterteilen die Leitlinien in leichte ADHS, mittleren Schweregrad sowie schwergradige ADHS-Ausprägung.

All das führt dazu, dass sich hinter den schätzungsweise ca. 2 Millionen betroffenen Erwachsenen in Deutschland viele bunte, unterschiedliche, einzigartige Menschen verbergen. Das erklärt sich neben diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Ausprägungsvielfalt auch durch zahlreiche andere Faktoren, die neben der genetischen Disposition die Entwicklung der ADHS beeinflussen. Aber auch wie und ob sie sich Erwachsenen im Alltag zeigt. So können Faktoren sein, die die Ausprägung und das Auftreten beeinflussen: mangelnde Unterstützung und Anleitung im Kindesalter, individuelle Lebenswege mit Erfolgs- oder Misserfolgserlebnissen, eine passende Berufswahl oder welche menschlichen Ressourcen sich im Umfeld befinden.

All diese Faktoren können entscheiden, wie sich Lebenswege mit ADHS entwickeln. Trotz aller Unterschiede in den Ausprägungen gibt es bei allen jedoch eine Gemeinsamkeit: Es gibt neurobiologische Besonderheiten, die ein von ADHS betroffenes Gehirn kennzeichnen, denn ADHS ist eben keine Erfindung der Pharmaindustrie.

Neurodiversität ADHS: Nein, ADHS ist keine Erfindung der Pharmaindustrie!

Lange und immer wieder taucht er auf, der Mythos, ADHS sei eine Erfindung der Pharmaindustrie. Auch wenn möglicherweise heute bei Kindern manchmal allzu früh ADHS als Erklärung für Unruhe, Auffälligkeiten und Konzentrationsschwäche herangezogen wird, konnten neue bildgebende Verfahren die neurobiologischen Besonderheiten der Betroffenen aufzeigen – was sich hinter dem Begriff Neurodiversität verbirgt. ADHS ist real.

Diese neurobiologischen Besonderheiten möchte ich zumindest knapp skizzieren, da diese die Erklärung liefern, warum ein von ADHS betroffenes Gehirn seinen eigenen Gesetzen folgt.

Ein kurzer Ausflug in die Neurobiologie

Forschungsergebnisse konnten nachweisen, dass sich ADHS sowohl in einer veränderten Gehirngröße einzelner Bereiche, als auch durch einen veränderten Gehirnstoffwechsel zeigt. So weichen einzelne Gehirnregionen von dem Gehirn neurotypischer Menschen ab. Es wurden Besonderheiten in den Gehirnnetzwerken und Gehirnregionen festgestellt (es folgen Vereinfachungen).

  • So ist das Fronto-partielle Netzwerk betroffen, das für die Steuerung von Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis, aber auch Entscheidungen und Planungen zuständig ist.
  • Weiterhin konnten in dem Fronto-strialen Netzwerk veränderte Gehirnstrukturen festgestellt werden. Dieses ist für die Verhaltenskontrolle und -steuerung, die Verhaltenshemmung, Impulskontrolle, Verarbeitung von Belohnung und Bewegungsfeinsteuerung zuständig.
  • Abweichungen gab es auch bei den Botenstoffen, vor allem Dopamin- und Noradrenalin-Bahnen.

All dies führt zu Einschränkungen der Exekutivfunktionen und führt zu einer Unterstimulation. Dies ist gleichzeitig die Erklärung, warum Alltagsbewältigung für Erwachsene, die von ADHS betroffen sind, so herausfordernd ist.

Die Bedeutung der Exekutivfunktionen für den Alltag: Sie steuern unser Tun minütlich!

Der ein wenig technisch anklingende Begriff Exekutivfunktion stammt aus der Neurowissenschaft. Er beschreibt übergeordnete metakognitive Kompetenzen. Sehr vereinfacht ausgedrückt bezeichnet es eine Steuerungsfunktion des Gehirns über das eigene Denken, Fühlen und Verhalten (Handeln). Ihr internes Navigationssystem: Sie möchten von A nach B und Ihr Gehirn = Navi steuert den Weg: Startet, wählt das passende Tempo und bremst. Es plant, managt Ablenkungen, nimmt den direkten Weg, umfährt Staus, vermeidet Umwege, oder gerät in Sackgassen.

Exekutivfunktion ist auch die Fähigkeit langfristiger versus kurzfristiger Planung, Prioritäten zu setzen, nein zu sagen zu Stör-Impulsen, komplexe Tätigkeiten mit Teilschritten zu planen, dranzubleiben. Fokus, Konzentration und Aufmerksamkeit zu richten. Und auch Dinge, trotz schwieriger Hürden, zu Ende zu bringen.

ADHS bei Erwachsenen: Beeinträchtigte Exekutivfunktionen

Klingt einfach? – Nein. Genau darin liegt die kontinuierliche tägliche Herausforderung für die Betroffenen aufgrund der neurobiologischen Besonderheiten. In unserer komplexen Welt mit vielfältigen Rollen, Anforderungen aber insbesondere auch Ablenkungen ist das eine große Herausforderung und eine Erklärung, warum Menschen oftmals hinter ihrem Potenzial zurückbleiben. Lesen Sie gerne hier, welche Auswirkungen diese neurobiologischen Besonderheiten konkret im Alltag haben.

Beeinträchtigte Kompetenzen, die die Bewältigung des Alltages erschweren

Ich habe meine Ausbildung zum ADHS-ADULT-Trainer bei Prof. Dr. Lauth (emeritiert) absolviert. Für mich war die Brücke der neurobiologischen Besonderheiten zu den beeinträchtigten Kompetenzen eins meiner größten AHA-Erlebnisse.

Was sind denn Kompetenzen überhaupt? Kurzgefasst: Kompetenzen befähigen uns gestellte Aufgaben selbstständig, eigenverantwortlich und situationsgerecht zu meistern.

Die neurobiologischen Besonderheiten führen zu Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen, die für die Alltagsbewältigung wichtig und unterstützend sind. Lauth und Minsel beschreiben diese Beeinträchtigungen in Kompetenz- und Performanzdefizite (Lauth/Minsel 2009).

Kompetenzdefizite beziehen sich hierbei auf die exekutiven Funktionen wie Planungs- und Organisationskompetenzen, Fähigkeiten der Emotionssteuerung, kommunikative sowie soziale Kompetenzen.

Diese Beeinträchtigungen werden durch Performanzdefizite ergänzt. Sie beziehen sich auf motivationale Gründe, mangelnde Vorausplanung sowie Meidungslernen.

Aus dem Zusammenwirken dieser Defizite erklärt sich, warum es für Betroffene oft schwierig ist, geplante langfristige Ziele in die Praxis umzusetzen und auch warum sich im ausgeprägten Aufschiebeverhalten eines der Hauptmerkmale im Alltag zeigt.

Beeinträchtigte Selbststeuerungsfähigkeit

Das Zusammenwirken der Kompetenz- und Performanzdefizite zeigt sich in einer reduzierten Selbststeuerungsfähigkeit. Selbststeuerungsfähigkeit ist die Fähigkeit …

  • sich selbst zu führen.
  • selbstverantwortlich mit seinen Ressourcen (Zeit, Energie, finanzielle Mittel) umzugehen.
  • Die eigene innere Pluralität widerstreitender Kräfte zu erkennen.
  • eigene Zielkonflikte aufzudecken.
  • zu erkennen, dass das Erreichen von Zielen auch mit Verzicht verbunden ist.
  • Impulsen und Ablenkungen vielfältiger Art zu widerstehen.
  • das Denken, Fühlen und Handeln mit seinen langfristigen Lebenszielen in Einklang zu bringen.

Sie müssen sich minütlich entscheiden, was Sie tun, oder worauf Sie verzichten, wofür Sie Ihre Zeit nutzen, ob Sie die Zeit wirklich nutzen für die Dinge, die Ihnen wichtig sind. Wenn das nicht gelingt, verzetteln Sie sich, verfangen sich im Unwichtigen, Sie suchen Ablenkungen, die Zeit verrinnt. Das führt zu der Frage, wie sich ADHS im Alltag zeigt.

Die Brücke in den Alltag: Wie kann sich nun ADHS im Alltag zeigen?

Das eigenverantwortliche Managen eines Erwachsenenlebens stellt an Betroffene enorme Anforderungen. Daher können hier häufig Schwierigkeiten auftreten, die weniger etwas mit Intelligenz, Willensstärke oder Disziplin zu tun haben, sondern sich mit den dargestellten Defiziten und verschiedenen Kompetenzbereichen erklären.

So zeigen sich in den Lebenswirklichkeiten der Betroffenen häufig Beeinträchtigungen, die vielfältig, aber auch sehr individuell sein können.

Alltagsrelevante Beobachtungen können sein:

  • Häufig haben Betroffene das Gefühl, ihr Potenzial nicht auszuleben – dass mehr in ihnen steckt.
  • Inkonstante Motivation: Zahlreiche Projekte werden motiviert begonnen, doch es bestehen Schwierigkeiten diese zu Ende zu bringen. Hierdurch gibt es oftmals Brüche im Leben. (Abgebrochene Ausbildungen/Studiengänge, häufige Arbeitsplatzwechsel)
  • Ausgeprägtes Aufschiebeverhalten bei aversiven oder zu niedrigschwelligen Tätigkeiten. (Wachsende To-do-Listen, das Gefühl der Überforderung, alltägliche Erledigungen bleiben liegen)
  • Desorganisation: Chaos im Kopf und kein Überblick über die To-Dos,
  • Schwierigkeiten in der Selbstorganisation und dem Zeitmanagement. Betroffene werden als chaotisch-kreativ erlebt. (Häufiges Zuspätkommen, sich im Umgang mit der Zeit verlieren, es werden keine Kalender, Tages- oder Wochenpläne geführt.)
  • Es besteht eine Abneigung, sich an Regeln und festgelegte Verfahrensschritte zu halten. (Hohes Autonomie-Bedürfnis und Ablehnung, Vorgaben von außen einzuhalten)
  • Langeweile kann man nicht gut aushalten und tolerieren
  • Das Einhalten und Einüben von einfachen Routinen fällt schwer (Stundenzettel oder Arbeitsnachweise führen)
  • Leichte Ablenkbarkeit, Konzentration kann nicht lange gehalten werden (Schwierigkeiten, sich lange mit einer Sache zu beschäftigen. Ablenkungen werden sofort aufgegriffen)
  • Flüchtigkeit und Fehler bei niedrigschwelligen Tätigkeiten (wenn das Gehirn unteraktiviert ist, unterlaufen häufig Fehler)
  • Sie unterbrechen den Gesprächspartner häufig und können in Besprechungen ihre Gesprächsbeiträge nicht gut zurückhalten
  • Hohe Risikobereitschaft, die selbst oft nicht erkannt wird. D.h. Gefahren werden nicht richtig eingeschätzt. Dies sind oft sogenannte „blinde Flecken“ im Leben.
  • Impulsivität in sehr unterschiedlichen Lebensbereichen, nicht primär im Sinne von aggressiver Impulsivität. Impulsivität führt zu wenig besonnenen Entscheidungen und Handlungen im Bereich Beziehungen, Finanzen, Kommunikation und Umgang mit Zeit (führt zu Konflikten mit Menschen, ungeordneten Finanzen)
  • Schnelle Stimmungsschwankungen (zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt)
  • Schlechtes Arbeits-/ Kurzzeitgedächtnis: Das Gehörte bleibt nicht in Erinnerung. Anweisungen/Gespräche werden nur lückenhaft erinnert (Sie können sich Namen nicht gut merken, Anweisungen werden unvollständig wahrgenommen und daher unzureichend ausgeführt).
  • das Gespräch von „nebenan“ bei großen Zusammenkünften kann nur schwer ausgeblendet und gefiltert werden (z. B. in Großraumbüros, bei Feiern). So werden Erlebnisse, visuelle Eindrücke, Geräusche und Gerüche aufgrund der Reizfilterschwäche als intensiv und belastend wahrgenommen. Das führt zu Erschöpfung und Stress.
  • Häufig geht all das mit einem Gefühl der Erschöpfung und der Überforderung einher. Es ist oft schwierig, Ruhe und Erholung zu finden. Der Kopf ist immer am Denken.

Trifft all das auf Sie zu? Fühlen Sie sich betroffen?

Widersprüche und Inkongruenzen im Leben der Betroffenen

Wenn Sie sich überlegen, ob und wann das auf Sie zutrifft, werden Sie feststellen, dass sie das häufig in unterschiedlichen Lebensbereichen deutlich bejahen, in anderen gar nicht. So zeigen sich Widersprüche, Inkongruenzen, große „Leistungsschwankungen“ und inkonsistente Motivation.

ADHS bei Erwachsenen: Widersprueche in Lebensbereichen verstehen

Infolgedessen können manchmal Parallelwelten auftreten, die zu großem eigenen Leidensdruck führen und vor allem auch Unverständnis in Partnerschaft und dem Umfeld führen. (Alle Beispiele sind willkürlich gewählt und dienen der Veranschaulichung)

  • Erfolgreiche(r) Manager(in) – hat im Privatleben Beziehungsprobleme, da er/sie als unzuverlässig und sprunghaft wahrgenommen wird.
  • Zuverlässige und geschätzte Assistentin der Geschäftsführung. Hält ihrem Chef immer den Rücken frei. Eckt beruflich mit Kollegen/innen an. Zu Hause hat sie große Schwierigkeiten, einen Haushalt geordnet zu führen.
  • Eine Ergotherapeutin, die für ihr Einfühlungsvermögen und Kreativität im Umgang mit Patient*innen geschätzt wird und auch zahlreiche wertvolle Impulse bei Teambesprechungen einbringt. Hat aber Schwierigkeiten, die Patient*innenprozesse zu dokumentieren, und es kommt zu Konflikten durch unzureichende Absprachen bei Terminänderungen.
  • Erfolgreicher innovativer Unternehmer, mit großen Schwierigkeiten, die eigene Buchhaltung zu organisieren. Nimmt Verluste in Kauf, da Rechnungen nicht gestellt oder Termine verpasst werden und Anfragen nicht zeitnahe bearbeitet werden.
  • Eine ideenreiche und kreative Lehrer(in), die von den Kindern geliebt und Eltern geschätzt wird. Privat zeigt sie impulsives Handeln im Umgang mit Geld und hat ungeordnete finanzielle Verhältnisse. Öffnet Post und Rechnungen nicht.

Wie kann man dieses Rätsel erklären?

Unteraktivierung versus Hyperfokus: Ein ständiger Balanceakt

Durch die beschriebenen neurobiologischen Besonderheiten ist ein von ADHS betroffenes Gehirn erst einmal unterstimuliert.

Dennoch spielt sich das Phänomen Aktivierung bei ADHS immer wieder in einem Spektrum zwischen Unteraktivierung und Hyperfokus ab.

Auf einer Skala von Unteraktivierung, passender Aktivierung und Hyperfokus ist die Bandbreite groß und gleichzeitig sehr individuell, unter welchen Bedingungen Betroffene Aktivierung gut bereitstellen können. Das ist für mich einer der faszinierenden Aspekte bei ADHS. Ich werde dazu einen späteren Blog verfassen, möchte es dennoch hier kurz anreißen.

ADHS bei Erwachsenen: Unteraktivierung versus Hyperfokus

Das von der Grundeinstellung unterstimulierte Gehirn benötigt einen sehr individuellen Rahmen für eine gute Aktivierung. (Die Unteraktivierung ist für viele erst einmal eine Überraschung, da man das unruhige hyperaktive Kind im Auge hat. Aber die Unruhe (der Kinder) ist eine Kompensation, der Versuch, die geringe Stimulation und Unteraktivierung in ein Gleichgewicht zu bringen.)

Bei aversiv erlebten Tätigkeiten besteht die Schwierigkeit in der Regel eher in einer Unteraktivierung. So kann es bereits eine große Hürde sein anzufangen oder konzentriert dranzubleiben. Oft wird unbewusst jede Ablenkung und Unterbrechung angenommen, oder die Aufgabe aufgeschoben oder nicht zu Ende gebracht.

Bedingungen, die die Aktivierung und den Stimulus fördern, sind individuell, da Bedürfnisse, Werte, Interessen und Begabungen sich von Mensch zu Mensch unterscheiden. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass folgende Faktoren Aktivierung unterstützen können:

  • eine hohe Sinnhaftigkeit
  • hohe intrinsische Motivation
  • die Tätigkeit entspricht den Begabungen und Interessen
  • oft kreative Themen
  • (Zeitdruck)

Als Extrem an Aktivierung wird hier immer wieder der Hyperfokus benannt. Russel Barkley (2017) vergleicht den Hyperfokus mit einem flow-ähnlichem Zustand erhöhter Konzentration, der von einem Stimulus abhängig ist. Häufig gibt es eine gelungene Übereinstimmung von Interessen, Sinn, Motivation und Begabungen. In der Folge sind Betroffene oft zu unglaublichen/besonderen Leistungen fähig.

So erklären sich die manchmal extremen Schwankungen im Leben. Sind die Anforderungen stimmig und passend, kann das Potenzial zur Entfaltung kommen, die Energie scheint ungebremst. Demgegenüber können andere Lebensbereiche nicht ausreichend bewältigt werden und die Defizite treten bei ungünstigen Anforderungen in den Vordergrund oder hemmen auch Potenzial. So wirken sich die Defizite auch Lebensbereich übergreifend aus.

Das führt mich zu der Frage, was sind denn die Stärken, die mit ADHS verbunden sind?

Popcornmaschine ADHS-Gehirn: Welche Potenziale und Stärken stehen dem gegenüber? Vieles, vieles, was man nicht erwerben kann!

Menschen mit ADHS auf ihre vermeintlichen Defizite zu reduzieren, würde dieser Komplexität nicht gerecht werden.

Die Literatur greift häufig nachfolgende Stärken auf:

  • Kreativität
  • Hilfsbereitschaft
  • Einsatzbereitschaft
  • Feinfühligkeit/Sensibilität
  • Emotionalität
  • Ehrlichkeit
  • Begeisterungsfähigkeit
  • Spontanität
  • Charme

Diese Eigenschaften prägen oftmals Menschen, die von ADHS betroffen sind.
Die eigentlichen Stärken sind jedoch nicht diese Charaktereigenschaften. Betroffene verfügen häufig über besondere Begabungen und Fähigkeiten, in denen viel Potenzial steckt: für den Einzelnen, Arbeitgeber und die Gesellschaft.

Die häufig nicht enden wollende Energie des Hyperfokus, die Fähigkeit des divergenten Denkens haben die Betroffenen zu bieten. Mit divergentem Denken verbinde ich das, was oft mit „Out of the Box-Denken“ formuliert wird.

In diesem Leistungsvermögen steckt großes innovatives Potenzial, das insbesondere auch auf dem Arbeitsmarkt und den immer komplexer werdenden beruflichen und gesellschaftlichen Herausforderungen eine bedeutsame Rolle spielen kann. Voraussetzung hierbei ist, dass die ADHS-spezifischen Besonderheiten gerichtet und gelenkt werden.

Als Job- und Karriere-Coach habe ich darauf ein besonderes Augenmerk. Denn häufig entscheidet eine berufliche Passung darüber, ob dieses Potenzial ausgelebt werden kann. Die bereits erwähnten Autoren E. Hallowell und J. Ratey von „ADHS ist kein Makel“ vergleichen das ADHS-Gehirn mit einer Popcornmaschine.

ADHS bei Erwachsenen: Potenzial Popcornmaschine

So gibt es immer wieder erfolgreiche und auch populäre Persönlichkeiten, die stellvertretend für ADHS-Potenziale stehen. Dann, wenn die Begabung und die Anforderung der Arbeitsplätze sich decken und eine gute Lenkung und Stärkung der Kompetenzdefizite erfolgt.

Und manchmal sind die Begabungen ganz leise und versteckt. Vielleicht nicht so deutlich sichtbar, oder für die Betroffenen noch unentdeckt. Daher ist neben der Kompetenzerweiterung ein gezielter Blick auf Stärken hinter den vermeintlich vordergründigen Schwächen immer Teil des Weges, um ein gelingendes Leben mit ADHS zu gestalten.

Aber häufig haben Betroffene gar keinen Zugang zu ihren Begabungen, Stärken, Potenzial. Warum das so ist? Weil Lebenswege mit ADHS auch einen Einfluss auf den Selbstwert haben und wenig hilfreiche und hemmende Glaubenssätze den Zugang zu den Stärken verhindern.

Um ADHS ganzheitlich zu verstehen, muss man sich mit der gleichen Aufmerksamkeit dieser internalisierten Seite zuwenden, denn diese kann genauso hemmend und Leid bringend sein.

Die internalisierte Seite von ADHS im Erwachsenenalter: Selbstwertproblematik verhindert den Zugang zu den Stärken

ADHS bei Erwachsenen: Vermindertes Selbstwert mit ADHS

Wenn man ADHS im Erwachsenenalter auf die Symptome und nach außen sichtbaren Merkmale reduziert, übersieht und vernachlässigt man einen wesentlichen Bereich. Das INNENLEBEN:

So können die internalisierten Ausprägungen die Entwicklung genauso hemmen wie die Kompetenz- und Performanzdefizite. Und in der Regel stehen sie nicht getrennt nebeneinander, sondern bedingen sich.

Die traurige Wahrheit ist, dass Menschen mit ADHS häufig zahlreiche Stigmatisierungen, Misserfolgserlebnisse, Degradierungen und Scham erlebt haben. Wie soll man Verhalten ändern, wenn man von Kinderbeinen an gehört hat, dass man so ist und daran nichts ändern kann, wenn man das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten verloren hat, wenn durch die Abwärtsspirale wiederholte Misserfolgserfahrungen vorhanden sind. Wenn man nie eine gute Anleitung und Begleitung hatte, um ADHS und die eigene Ausprägung zu verstehen und managen.

All das prägt den Selbstwert und lässt begrenzende Muster und negative Glaubenssätze entstehen. Es entwickelt sich ein Selbstbild, dem die Zuversicht fehlt, dass Veränderungen mit ADHS überhaupt möglich sind.

Hierdurch ist häufig ein Gefühl entstanden, nichts ändern zu können. „Ich bin eben so.“ So fällt es häufig schwer, den ersten Schritt zu machen und Veränderung anzugehen. Es beginnt ein Teufelskreis aus fehlenden Erfolgserlebnissen, Entmutigung, Rückzug.

Ebenfalls gibt es kognitive Verzerrungen in der Selbstwahrnehmung. Die vermeintlichen Defizite werden von den Betroffenen so deutlich in den Vordergrund gestellt, und die Stärken, Begabungen und Ressourcen werden übersehen.

Um ADHS ganzheitlich zu verstehen, bedarf es häufig des lebensgeschichtlichen Kontexts. Die Auswirkungen auf den Selbstwert und das Selbstbewusstsein müssen einbezogen werden. Häufig begleitet das Gefühl, anders zu sein und hinter seinem Potenzial zurückzubleiben, Betroffene bereits seit Kindertagen. Manchmal mit einer frühen Diagnose und oft gibt es die Antwort erst spät im Leben durch eine Diagnose ADHS im Erwachsenenalter.

Warum ist dieser ganzheitliche Blick so wichtig? Zuversicht und Selbstwirksamkeit stärken

Dieser ganzheitliche Blick stärkt Zuversicht

Ich erlebe es immer wieder in Coaching-Prozessen, wie das Zusammenwirken dieses Wissens und das Verständnis eine enorm entlastende und motivierende Wirkung auf die Betroffenen hat. Zu verstehen, dass das Gehirn aufgrund der neurobiologischen Besonderheiten immer wieder besonderen Anforderungen unterliegt, kann das Selbstmitgefühl stärken. Gleichzeitig entsteht daraus Zuversicht, dass das Leben in kleinen Schritten aktiv gestaltet werden kann. Und die vielen kleinen Schritte können sich irgendwann zu einem großen Momentum aufbauen, um ein gelingendes Leben mit ADHS proaktiv zu gestalten.

ADHS im Erwachsenenalter: zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten

Um ADHS zu managen, muss man sich und seine eigene ADHS-Ausprägung ganzheitlich verstehen. Bildlich ausgedrückt, nur wenn Sie eine Gebrauchsanleitung zu Ihrem Gehirn haben, können Sie selbstverantwortlich bestmöglich Veränderung gestalten. In einer ständigen Balance: ADHS sowie die damit verbundenen Grenzen akzeptieren und dennoch selbstfürsorglich und eigenverantwortlich, mit Gestaltungskraft in kleinen Schritten Veränderung gestalten.

Dazu gehören neben der Stärkung und Schulung der ADHS-spezifischen Kompetenzbereiche (Psychoedukation) auch freundliche Gedanken und ein selbstfürsorglicher Umgang mit Grenzen und Misserfolgen. Die Lösung liegt wie so oft nicht im „Entweder-oder“, sondern im „Sowohl als auch“.

So ist eine ADHS-Ausprägung und wie sich im Leben zeigt, immer ein multifaktorielles Geschehen. Was ich daran so schön finde und immer wieder in meinen Coachingprozessen erlebe? Wenn viele Faktoren die Entstehung und Ausprägung beeinflussen, gibt es auch zahlreiche Möglichkeiten, ein gelingendes Leben mit ADHS aktiv zu gestalten. Im Denken, Fühlen und Tun. Den eigenen Weg finden im Leben!

Zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten: Was könnte für Sie ein erster, nächster Schritt sein?

ADHS-Diagnose: Fachärzte und -ärztinnen für Psychiatrie und Psychotherapie, psychosomatische Medizin oder für Neurologie, sowie ärztliche oder psychologische Psychotherapeut*innen können ADHS diagnostizieren. Das ist ein komplexes Puzzle mit lebensgeschichtlicher Betrachtung, auch um Kommodität (Depression, Angststörung) auszuschließen, aber auch Abgrenzung und Festlegung von Doppeldiagnosen (z.B. Hochbegabung, Hypersensibilität, Asperger-Syndrom).

Medikamente: Möglicherweise können Medikamente begleitend unterstützend sein. Das setzt eine Diagnose voraus und kann von Neurolog*innen, Psychiater*innen und Fachärzt*innen für Nervenheilkunde verschrieben werden.

ADHS-Selbsthilfegruppe: Es gibt in Deutschland zahlreiche Selbsthilfegruppen und lokale Angebote, die wertvolle und unterstützende Arbeit anbieten. Dies ist häufig ein guter erster Schritt. Vor allem auch, weil neben Psychoedukation ADHS die Gruppe stützt und man sich verstanden fühlt.

Psychotherapie mit Schwerpunkt ADHS: Vielleicht möchten Sie sich um einen Therapieplatz bemühen bei einem Facharzt oder einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, bei ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeut*innen.

ADHS-Coach: Coaches mit Schwerpunkt ADHS: In der Literatur finden sich vermehrt Hinweise, die die Wirksamkeit und Erfolge von ADHS-spezifischen Coaching-Prozessen bestätigen. ADHS-Coaches haben eine sehr hohe Spezialisierung im Bereich ADHS und legen den Schwerpunkt kontinuierlich auf berufliche und lebensnahe Alltags-Umsetzung. Dabei unterstützen häufig die hohe Methodenvielfalt und fundiertes Wissen über ADHS.

Diese Erfahrungen über Fortschritte und Veränderungen teile ich hier immer wieder in meinen Coaching-Prozessen mit meinen Klienten*innen und den Familien. So stehe auch ich Ihnen mit meinem ganzheitlichen Blick und meinem Angebot zur Seite im Einzelcoaching, Gruppencoaching oder Paarcoaching.

ADHS-Coach: Auch bei Komorbiditäten? Wenn Sie sich in einem gesundheitlichen Zustand befinden, der ausreichend Zugriff auf Selbstheilungskräfte ermöglicht, kann auch eine Überbrückungsunterstützung durch einen Coach bis zur Zuweisung eines Therapieplatzes unterstützend sein. Auch können Therapie und Coachingprozesse in Absprache parallel wirksam sein. Im Coachingvertrag würde eine Eingrenzung zu den ADHS-spezifischen Schwerpunkten und Abgrenzung zu Begleiterkrankungen vorgenommen werden.

All das kann der Startschuss sein, sich auf den Weg zu machen, ADHS ganzheitlich zu verstehen durch Psychoedukation ADHS und ein gelingendes Leben mit ADHS aktiv zu gestalten.  Antworten  auf Ihre eigenen Fragen zu finden, warum ihnen vieles mit Leichtigkeit gelingt und manches unüberwindlich und mit bleischwerer Energie verbunden ist. Machen Sie den ersten Schritt.

Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihren Weg. Und immer daran denken: Sie geben jeden Tag ihr Bestmögliches. Seit vielen Jahren.

Wer schreibt diesen Artikel?

Ich bin Christiane Altemöller, B.A., ADHS-Coach und Trainerin. Kopf und Herz hinter: Coaching| ADHS-ADULT im DIALOG. www.christianealtemoeller.de

Ich bin Online-Coach aus Überzeugung und arbeite im 1:1 Einzelcoaching, Paarcoaching und Gruppentraining mit Betroffenen. Der gemeinsame ADHS-Dialog, der langfristig ihre Selbststeuerungsfähigkeit verbessert durch einen gestärkten inneren eigenen DIALOG.

So darf ich immer wieder Veränderungen mitgestalten und begleiten in dem Leben der Betroffenen und Familien. Das macht mich sehr dankbar. Neben meinen zahlreichen zielgerichteten Aus- und Fortbildungen zum Thema ADHS im Erwachsenenalter prägt mich mein eigener Lebensweg als ehemalige Leistungssportlerin. Christiane Scharf – Wikipedia Mit intensiven Erfolgen und schmerzhaften Enttäuschungen, aber insbesondere einem dynamischen Growth-Mindset. Ich kann das NOCH nicht, aber ich kann das lernen.

Mit Zuversicht und einer Balance von Akzeptanz und Gestaltungskraft ein gelingendes Leben mit ADHS gestalten. Dafür steht ADHS-ADULT im DIALOG.

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Quellen:

Lauth, Gerhard/Wolf-Rüdiger Minsel: ADHS bei Erwachsenen: Diagnostik und Behandlung von Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen (Therapeutische Praxis), 1. Auflage 2009, Hogrefe Verlag, 12.08.2009. (eine begleitende Ausbildungsliteratur)

Bei Prof. Dr. Lauth (emeritiert) konnte ich, wissenschaftlich fundiert, von seiner langjährigen und breiten praktischen Erfahrung im Einzelcoaching und Gruppentraining profitieren. So habe ich spannende Einblicke in die Forschung und praktische Arbeit mit ADHS-Erwachsenen gewonnen. Dies ist mein Grundstein, der meinen ganzheitlichen Blick auf die Betroffenen prägt.

Barkley, Russel/Christine Benton/Cathrine Hornung: Das große Handbuch für Erwachsene mit ADHS, 2., unveränd., Hogrefe AG, 23.01.2017.

Dweck, Carol/Jürgen Neubauer: Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt | Mit Growth Mindset zu mehr Selbstbewusstsein – aktualisierte, deutsche Ausgabe, 5. Aufl., Piper Taschenbuch, 02.06.2017.

Hallowell, Edward/John Ratey/Sibylle Hunzinger: Zwanghaft zerstreut: oder Die Unfähigkeit, aufmerksam zu sein, 20., Rowohlt Taschenbuch, 01.07.1999.

Hallowell, Edward/John Ratey/Jorunn Wissmann/Monika Niehaus: ADHS ist kein Makel: Hilfreiche Strategien für Kinder und Erwachsene, 2., Rowohlt Taschenbuch, 22.03.2022.